Logo der Stadt Riedlingen – zur Startseite

Umgang mit dem Straßennamen "Hindenburgstraße"

Am 22.01.2024 befasste sich der Gemeinderat der Stadt Riedlingen mit dem Straßennamen "Hindenburgstraße". Es wurde u.a. beschlossen, den Straßennamen beizubehalten und eine Erläuterungstafel mit einer historisch-kritischen Einordnung des Namensgebers anzubringen.
Der entsprechende Text des Historikers Stefan Aßfalg kann im Folgenden nachgelesen werden:

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (später genannt von Hindenburg), geb. 1847, gest. 1934,
entstammte einer ostpreußischen Offiziersfamilie und schlug später selbst die Laufbahn des Berufssoldaten ein.
Bereits im Alter von 12 Jahren besuchte er eine schlesische Kadettenanstalt, einige Jahre später die
Hauptkadettenanstalt in Berlin. Mit 19 Jahren avanciert er zum Leutnant und nahm als solcher am Deutsch-Französichen Krieg teil. Im Januar 1871 konnte der junge Offizier im Spiegelsaal von Versailles sogar an der Proklamation Wilhlems I. als König von Preußen zum Deutschen Kaiser erleben.
 
In den Folgejahren bis 1905 stieg von Hindenburg im Rahmen einer außerordentlich erfolgreichen soldatischen Laufbahn bis zum General der Infanterie auf und trat 1911 schließlich, hoch dekoriert, seinen Ruhestand an.
 
Mit Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde von Hindenburg durch das Reich reaktiviert und zunächst als Oberbefehlshaber der 8. Armee, die in Ostpreußen im Kampf gegen die ins Reichsgebiet eingefallenen Truppen des russischen Zaren stand, eingesetzt. Für den dort errungenen Sieg von Tannenberg im Rahmen der gleichnamigen Schlacht wurde von Hindenburg von Kaiser Wilhelm II. mit höchsten Ehren dekoriert (Pour le Mérite) und zugleich zum Generaloberst befördert. Dieser Sieg wurde übrigens später unter den Nationalsozialisten zum Mythos von Tannenberg hochstilisiert und mit einem monumentalen Denkmal in Szene gesetzt.
 
Noch im gleichen Jahr 1914 avancierte Hindenburg zum Generalfeldmarschall und hatte damit den damals höchsten militärischen Rang in der kaiserlichen Armee erreicht.
 
Im August 1916 übernahm von Hindenburg gemeinsam mit Generaloberst Ludendorff im Auftrag des Kaisers die Oberste Heeresleitung (OHL), die sich dann in den folgenden Jahren bis Kriegsende 1918 vor allem in militärischen und kriegswirtschaftlichen Belangen zu einer Art Ersatzregierung parallel zur legitimen Reichsregierung entwickeln und letztlich auch den Kaiser selbst in militärischen Belangen weitgehend entmachten sollte. Der von Historikern immer wieder Ins Gespräch gebrachte Vergleich mit einer Art Militärdiktatur ist dabei wohl nicht von der Hand zu weisen, wobei der eigentliche Machthaber und polit-strategische Kopf hier Generaloberst Ludendorff war. Hindenburg ließ ihn gewähren.
 
Als der Krieg im Herbst des Jahres 1918 nach Scheitern der letzten großen Frühjahrsoffensive militärisch nicht mehr zu gewinnen war, riet von Hindenburg dem Kaiser zur Flucht ins Ausland und übernahm von diesem für kurze Zeit den Oberbefehl über das geschlagene, aber noch immer gewaltige und nun über die Reichsgrenzen zurückflutende Heer, noch unter Waffen stehend.
 
Die schwierigen Friedensverhandlungen überließ die militärische Führung unter Hindenburg freilich der zivilen Reichsregierung und schürte gleichzeitig die Mär von der Dolchstoßlegende, die Glauben machen sollte, der Krieg sei militärisch zu gewinnen gewesen und das deutsche Heer sei vielmehr durch sozialistische und revolutionäre Umtriebe in der Heimat rücklings „besiegt“ worden. Dies lenkte natürlich auch vom militärischen Misserfolg der Herren von Hindenburg und Ludendorff ab.
 
1919, noch vor den Unruhen an den Ostgrenzen des Reiches, trat von Hindenburg auf eigenen Wunsch in den Ruhestand.
 
1925 wurde von Hindenburg von nationalkonservativen und monarchistischen politischen Kräften
aufgefordert, sich für die Wahl zum Reichspräsidenten aufstellen zu lassen. Im Alter von bald 80 Jahren übernahm Hindenburg, nachdem er die Erlaubnis des weiterhin im Exil lebenden Kaiser Wilhelm II. eingeholt hatte, im Mai 1925 die Reichspräsidentschaft, die er bis zu seinem Tod im Jahr 1934 weiterführte.
Rechtskonservative Kreise sahen in dem greisen Generalfeldmarschall, der noch immer von großgewachsener, kräftiger Statur war, eine Art „Ersatzkaiser“. Der verlorene Erste Weltkrieg wurde dabei erstaunlicherweise kaum mit ihm als langjährigem Chef der obersten Heeresleitung in Verbindung gebracht (Dolchstoßlegende).
 
Von Hindenburg war in den Folgejahren durchaus bestrebt, der noch jungen deutschen Republik Stabilität zu verleihen, er respektierte die Trennung von Politik und Reichswehr und agierte innerhalb der ihm durch die Verfassung zugedachten Rechte und Pflichten, wenngleich stets erkennbar blieb, dass er dem sozialistisch- kommunistischen Lager nur wenig abgewinnen konnte. Die schwierige (Welt-)wirtschaftliche Situation steigerte die Armut und Arbeitslosigkeit im Reich jedoch enorm und schwächte damit die Stabilität des gesamten Staatswesens, das zudem durch die Einschränkungen und Zahlungsverpflichtungen des Versailler Friedensvertrags stark belastet war.
 
Stabile Regierungskabinette fanden nicht mehr zusammen, und es begann die Zeit der Präsidialkabinette, die faktisch als Minderheitsregierungen direkt über Notverordnungen vom Reichspräsidenten eingesetzt wurden.
Von Hindenburg glaubte, so die Situation stabilisieren zu können, und entsprechend wurde er auch von seinem Beraterstab beeinflusst. Das weitere Erstarken extremer politischer Kräfte, vor allem die NSDAP, ließ sich dadurch nicht mehr aufhalten.
 
Von Hindenburg stemmte sich zunächst eisern gegen eine Kanzlerschaft Adolf Hitlers, dieser Politiker, den er verächtlich den „böhmischen Gefreiten“ titulierte, erschien ihm weder standesgemäß noch qualifiziert. Seine politischen Berater um seinen Sohn Oskar überredeten den inzwischen im 86. Lebensjahr stehenden von Hindenburg im Januar 1933 jedoch, Hitler dennoch zum Reichskanzler zu ernennen. Dem Reichspräsidenten wurde von nationalkonservativen Politikern wie dem erfahrenen Franz von Papen versichert, man habe sich „Herrn Hitler arrangiert“, ihn also machtpolitisch im Griff.
 
Die Machtübernahme durch Adolf Hitler wurde am sogenannten Tag von Potsdam propagandistisch meisterlich inszeniert, indem eine ideologische Verbindung zwischen der preußischen Vergangenheit, für die Hindenburg stehen sollte, und dem neuen deutschen Reich unter Hitler konstruiert wurde.
 
Schon kurze Zeit später begann die Regierung Hitler mit der Ausschaltung erster Grundrechte auf dem Weg zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, zunächst erneut über Notverordnungen des Reichspräsidenten.
 
Mit dem Ableben Paul von Hindenburgs am 02.08.1934 übernahm Hitler auch die Aufgaben des Reichspräsidenten einschließlich des Oberbefehls über die Truppen, die umgehend auf Hitler als Person und nicht mehr, wie zuvor, nur auf das Reich vereidigt wurden.
 
Die Tür zur absoluten Macht stand nun offen, Adolf Hitler sah sich fortan als „Führer und Reichskanzler“.
 
Was bleibt: Von Hindenburg ist eine wichtige und ebenso tragische wie umstrittene Figur der jüngeren
Deutschen Geschichte. Er verkörperte den preußischen Militarismus und spätestens ab 1916 die kaiserliche Kriegspolitik des Deutschen Reiches ab 1916.
 
ln seinen späteren Jahren als Reichspräsident gelang es ihm nicht, die Weimarer Republik, der er durchaus loyal gegenüberstand, so zu stärken, dass sie den Wirren der Zeit und den daraus erstarkten extremistischen Kräften gegenüber bestehen konnte.
 
Paul von Hindenburg war bis zuletzt in seiner politischen Einstellung ein monarchietreuer Nationalist. Ein Nationalsozialist war Paul von Hindenburg gleichwohl nicht!
 
Mit Adolf Hitler hat von Hindenburg letztlich den Mann zum Reichskanzler ernannt, den er in diesem Amt auf keinen Fall sehen wollte. Die zuvor gescheiterten Präsidialkabinette schienen ihm aus seiner Sicht jedoch keine andere Wahl mehr zu lassen.
 
Mit der Ernennung Hitlers versetzte er – ungewollt - der Weimarer Republik den Todesstoß. Sein Beraterstab hatte dem greisen Feldmarschall zuvor suggeriert, einen „Herrn Hitler“ und seine Partei im Griff behalten zu können.
 
Stefan Aßfalg